Marktbetrachtung

    Unser Projekt ist ein Produkt der allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnisse, deren konstituierendes Moment der Markt ist. Grundsätzlich ist die Voraussetzung für die Marktfähigkeit jeder Ware ihre Tauschfähigkeit und diese ist wiederum an die Anerkennung ihres Gebrauchswerts gekoppelt. Diese Anerkennung wird der Ware Kunst aber oft nicht so schnell zuteil wie anderen Waren auf dem Markt. Genau wie bei einer neuen Marke, muss erstmal Vertrauen in die Arbeit einer unbekannten Künstlerin geschaffen werden. Der sicherste Weg zu dieser Anerkennung auf dem Markt ist der Verkauf mindestens eines Werkes zu einem marktüblichen Preis. Dadurch wird Kaufinteressenten signalisiert, dass der Künstler grundsätzlich marktfähig ist. Zu- dem muss dieser Ankauf öffentlich bekannt gemacht werden, damit sich die gewünschte vertrauensbildende Wirkung entfaltet. Dies ist eine der zentralen Aufgaben, die SHRED D' ART übernimmt: Wir sind ein Katalysator  – wir vergeben das Siegel


der Marktfähigkeit durch den Ankauf in einer dazu konzipierten, öffentlichen Ausstellung und attestieren den Teilnehmenden durch die Expertise unserer Jury ihre künstlerische und finanzielle Relevanz. Sammelnde oder Kunsthandelnde verhalten sich in diesem Punkt natürlich sehr ähnlich. Allerdings unterscheidet sich SHRED D' ART von diesen gewöhnlichen Marktteilnehmenden fundamental, denn wir sehen es als unsere Aufgabe, nicht nur die Marktfähigkeit einer Künstlerin und ihrer Werke zu fördern, sondern in gleichem Maße den Druck der stetig wachsenden Kunstmenge auf den Markt zu reduzieren. Wir verstehen es daher als reine, urteilsfreie Notwendigkeit, die von uns angekauften Werke zu entwerten: Eine nachhaltige Förderung von Kunstschaffenden durch den Ankauf ihrer Werke kann nur Erfolg haben, wenn gleichzeitig das allgemeine Angebot verringert wird.

    Die emotionale Kraft der Zerstörungszeremonie*

    Wenn ein Kunstwerk ein letztes Mal ausgestellt wird, schafft es für die Anwesenden einen besonderen Moment. Sie werden Teil einer Gemeinschaft, die an einem nicht wiederholbaren Ereignis teilgenommen hat und exklusiv darüber berichten kann. Das Kunstwerk lebt einzig in der Erzählung und in fragmentarischen Bildern der Erinnerung weiter und tritt damit aus der allgemeinen Ausstellungspraxis heraus. Durch den „Du warst nicht dabei“ Effekt, bei dem nur die wenigen Anwesenden das Monopol auf die Schilderung einer besonderen Begebenheit besitzen, entsteht die Basis für Mythos. Dem Kunstwerk wird eine außergewöhnliche Aufmerksamkeit und Ernsthaftigkeit zu Teil, welche in einem regulären Ausstellungszusammenhang nur selten erreicht wird. Die Gewissheit, letzte Zeugin dieses Kunstwerkes zu sein, provoziert eine


    fokussiertere Auseinandersetzung mit der Arbeit. Darüber hinaus kann durch diesen Moment eine starke Bindung des Rezipienten an der künstlerischen Position entstehen und seine Aufmerksamkeit auf die zukünftigen Werke der Künstlerin gelenkt werden.

    Die Verabschiedungszeremonie von den Kunstwerken funktioniert wie ein „Anderer Markt“. Frei von Verwertungslogik zählt hier der Augenblick der Teilnahme und danach das Andenken an die Werke. Der teilnehmende Künstler wird durch die Exklusivität der Aktion und der aus der Erinnerung schöpfenden Verklärung des Kunstwerkes aufgewertet. Dadurch räumt man den zukünftigen Werken der Künstlerin einen ideellen und im besten Fall finanziellen Kredit ein.

    Die Problematik eines Modells ohne Entwertung

    Stellen wir uns vor, wir würden einfach die Arbeit eines Künstlers ankaufen. Die Künstlerin bekäme den gewünschten Preis bezahlt und könnte dadurch sich und ihre Arbeit finanzieren. Wir gingen nun einen Schritt weiter und verkauften das Werk an einen Dritten. Den Erlös gäben wir entweder wieder an die Künstlerin oder kauften davon ein weiteres Werk von ihr. Auf diese Weise würden wir ihm helfen und gleichzeitig seinen Marktwert und den seiner Arbeit durchsetzen. Wir würden also die Aufgabe einer durchschnittlichen Kunsthändlerin übernehmen, nur dass wir für uns keinen Gewinn herausschlügen. Aber bereits im nächsten Verkaufsschritt fällt für den Künstler schon nichts mehr ab. Würde die Dritte das Kunstwerk weiterverkaufen, wäre der Künstler nicht mehr beteiligt. Das ist die vielbemängelte Crux am sogenannten zweiten Kunstmarkt. Wollte die Künstlerin nun wieder ein Werk verkaufen, müsste sie zwangsläufig in Konkurrenz mit ihrem ersten Werk treten. Das liegt daran, dass der Wert seiner


nachfolgenden Arbeiten an der Preisentwicklung des ersten Werkes gemessen würde. Fiele nun der Preis seines ersten Kunstwerkes würde dies als Signal dafür verstanden, dass auch sein nächstes Werk einen Preisverfall erleiden könnte. Das Vertrauen verringerte sich und damit der Marktwert. Selbst wenn sich die Preisgestaltung für die Künstlerin positiv entwickelte, würde unser naives Charity-Verhalten (die Erlöse der Verkäufe werden zur Refinanzierung immer neuer Ankäufe genutzt) weiter dafür sorgen, dass immer mehr Werke um die Geldmasse auf den Kunstmarkt konkurrierten. Es gibt also keinen anderen Weg: Es ist zwingend notwendig, die Kette zu unterbrechen, die zur Marktübersättigung führt, und die Menge an Kunstwerken durch kontrollierte und kuratierte Entwertung zu reduzieren. Dass dabei niemand finanziellen Schaden erleidet, sondern im Gegenteil das Einkommen von Kunstproduzierenden gefördert wird, ist das einzigartige Konzept von SHRED D' ART.

    Zerstörung ist nicht Willkür sondern eine Notwendigkeit

    Der kapitalistische Markt, in welchem der Kunstmarkt eine schillernde Variante darstellt, ist grundsätzlich auf Konsumtion und Vernichtung von Waren ausgelegt. Würden Gebrauchswerte mit einem Anspruch auf Ewigkeit produziert, legte sich der Markt über kurz oder lang selbst lahm. Der Markt zwingt jede Ware zu einer Halbwertszeit, um Platz für Neues zu schaffen. Während hingenommen wird, dass z.B. elektrische Zahnbürsten nach zwei Jahren funktionsuntüchtig sind, ist der reine Verdacht, eine künstlerische Arbeit “von Wert” könne auf irgendeine Weise (chemisch-technisch oder inhaltlich) verfallen, ein ernsthaftes Problem für ihre Wertschätzung - im künstlerischen wie finanziellen Sinne.

    Auch in der Kunst ist Überproduktion ein Problem. Die Schnelllebigkeit der Kunstwelt, das Verlangen nach Neuem und Aktuellen, befeuert die produktive Hysterie bei jedem einzelnen Künstler. In ihrer produktiven Fiebrigkeit ist sie mit einem konventionellen Unternehmen vergleichbar, das sich von konkurrierenden Marktteilnehmenden abheben möchte. Werke der vergangenen Jahre wirken schnell veraltet oder nur als Vorläufer der



    aktuellsten Arbeiten. Die Künstlerin muss Aktualität durch “zeitnahen” Output (dauerndes Schaffen und regelmäßige Ausstellungsteilnahme) produzieren, um Aufmerksamkeit durch Aktivität zu binden. (Dass Bewerbungskriterien für Stipendien o.ä. oft maximal Arbeiten vom letzten Jahr erlauben, ist entweder direkter Ausdruck dessen oder eine notwendige Reaktion angesichts der zu erwartenden Masse an Einsendungen.) Die Ware Kunst wird nicht unter dem gleichen kühl kalkulierenden Blick betrachtet wie andere Waren. Vollen Lagern, Archiven und Beständen oder eben dem gesättigten Markt wird nicht mit Verschleiß, Sollbruchstellen und subventionierter Entsorgung (Schrottprämie etc.) begegnet, denn in der Kunst wird trotz ihrer offensichtlichen Warenförmigkeit ein ‚Mehr‘ gesehen. Und das ist das Problem: Sie ist ja wirklich nicht einfach Ware - sie ist tatsächlich ‚mehr‘. Aber in dem Moment wo Kunstschaffende oder Galeristinnen ihr Auskommen mit dem Verkauf von Kunst bestreiten wollen, können sie nicht anders als die Kunst als Ware zu behandeln. Sie müssen sie als solche auf dem Markt verkaufen. Und daher ist es im Allgemeinen und für uns im Speziellen nur folgerichtig sie als auch als solche zu behandeln.

* Und in der wilden Welt der Kunst strebt alles nach Leben und Überleben, setzt sich das Gute und Richtige durch, taucht in allen Zugrabetragungen immer wieder der vitale Elan auf, ist jede Vernichtung von Kunst selbst wieder Kunst, eine wüste, vulgäre Kampfwelt und zugleich Parodie auf die "unsichtbare Hand“ des Marktes. Als Vulgärdarwinist müsste man die Kunst erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe."

(Geld frisst Kunst, Kunst frisst Geld, Markus Metz, Georg Seeßlen, Seite 79, 2. Absatz, 2. Auflage 2015, Suhrkamp)